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Aus dem Leben eines Postdocs

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Das Los eines Postdocs scheint zu sein, dass man sich nicht mehr nur einem Projekt (eben der Dissertation) widmen kann, sondern eine Vielzahl von teilweise sehr unterschiedlichen Vorhaben bearbeitet. Natürlich verkläre ich nun meine Promotionszeit, da war es nämlich längst nicht so, dass ich mich während meiner gesamten Arbeitszeit darum hätte kümmern können. Genaugenommen sollte ich aber sehr froh sein, dass ich zumindest teilweise für die Anfertigung einer Doktorarbeit bezahlt wurde, denn das ist ja längst nicht überall der Fall.

Der Umfang der Arbeiten, die ich für Lehre, Studienberatung und Lehrstuhlorganisation übernehme, dürfte ungefähr konstant geblieben sein. Bei der Verfassung von Forschungsanträgen war ich auch schon vorher eingebunden, mein Part ist dabei aber sukzessive größer geworden, bis hin zu Anträgen, bei denen ich jetzt auch offiziell die Feder führen darf und wo ich – sofern den Anträgen stattgegeben wird – auch die Projektleitung übernehme. Längst nicht alle wissenschaftliche Arbeit, die ich gerne noch gebündelt dokumentieren würde (ja, in einer Habilitation, falls es so etwas demnächst noch geben sollte), wird tatsächlich extern gefördert. Dabei gilt natürlich, dass das, was nicht ist, durchaus noch werden kann. Tatsächlich versuche ich meine Themen in beide Richtungen zu denken: Wissenschaftlich (wie und wo könnte das veröffentlicht werden) und finanziell (wie und wo könnte für zukünftige Schritte eine Förderung beantragt werden).

Für mich ist immer wichtig, den Überblick zu behalten und mir die Überzeugung zu vermitteln, dass alles irgendwie ineinandergreift, auch wenn es dies nur auf einer sehr abstrakten Ebene tut. Eine gute Gelegenheit, Dinge zu bündeln, ist darüber zu reden (z.B. in Lehrveranstaltungen oder Kollegengesprächen) oder darüber zu schreiben (z.B. hier). Oder sich eine Prezi-Vorlage auszusuchen und dann die eigenen Gedanken daran zu ordnen. Da kommt dann zwar u.U. etwas heraus, das ohne weiteren Erklärungen nicht verstanden wird, z.B. die Prezi aus meinem Seminar Textprozessierung von letzter Woche:

Eine solche Präsentation ist für mich quasi eine Rohform – implizit weiß ich, welche Inhalte ich damit transportieren möchte und anhand welches Anschauungsmaterials ich das präsentieren kann. Dadurch, dass ich eine solche Präsentation dann vorstelle, kann ich mir ein Bild darüber machen, an welchen Stellen meine Argumentation schlecht nachvollziehbar ist, wo noch Lücken sind, die ich mit Argumenten füllen muss oder wo ich mich evtl. auch verlaufen habe.

Konkret geht es in der Präsentation um die Bündelung teilweise sehr unterschiedlicher Anwendungsbereiche der Computerlinguistik (ich spezialisiere hier auf die Prozessierung von Texten), die bereits Forschungsprojekte sind (linke Seite) oder hoffentlich noch werden (rechte Seite), die jedenfalls momentan von mir (und anderen) bearbeitet werden. Ziel ist einerseits natürlich, die einzelnen Projekte in wissenschaftlicher Hinsicht voranzubringen, Projekte abzuschließen und evtl. Folgeprojekte zu beantragen. Andererseits interessiert mich aber gerade auch die Schnittmenge, die sich aus den einzelnen Projekten ergibt. Was ist überall gleich? Kann man vom best practice, den man für ein Projekt ausgearbeitet hat, auf zu präferierende Vorgehen der anderen schließen? Wie ist der Workflow der einzelnen Vorhaben designed – gibt es einzelne Komponenten oder womöglich ganze Ebenen in den Workflows, die zwischen den Projekten ausgetauscht werden können?

In meiner Dissertation habe ich mich mit der Entwicklung und Dokumentation eines Frameworks für die Prozessierung von Texten auseinandergesetzt (Tesla) und dieses anhand eines einzelnen, zugegebenermaßen sehr speziellen, Anwendungsfalls vorgeführt. Wenn man so will, ist das, was ich nun treibe, eine Erprobung der Konzepte, die ich damals ausgearbeitet habe, an weiteren Anwendungsfällen. Dabei wird nun auch für mich trennschärfer, für welche Art von Anwendungen das System geeignet ist und für welche eben nicht; wo Erweiterungen von Tesla sinnvoll sind und wo besser andere Werkzeuge genutzt werden; wie Schnittstellen zwischen verschiedenen Werkzeugen geschaffen werden können, um die eigene wissenschaftliche Arbeit möglichst nachvollziehbar dokumentieren zu können. Mein Thema ist also weiterhin ein Labor für Geisteswissenschaftler,  und mein Bestreben ist, mich nicht in diversen Projekten zu verzetteln, sondern diese eben als unterschiedliche Ausprägungen einer spezifischen Arbeitsweise – die man vielleicht Experimentelle Geisteswissenschaften nennen könnte, zu betrachten.

Cite this article as: Jürgen Hermes, "Aus dem Leben eines Postdocs," in TEXperimenTales, 06/11/2015, http://texperimentales.hypotheses.org/1529.

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